Wie kann der Ukraine-Krieg enden? Vorstellung von möglichen Szenarien durch einen Friedensforscher

16.09.2022 CJD Königswinter « zur Übersicht

Bereits seit Februar hält der russische Krieg in der Ukraine die Welt in Atem. Angesichts der dramatischen Berichte drängt sich die Frage nach einem möglichen Ende der Auseinandersetzungen auf. Genau hierzu hatten die SoWi-Kurse der Q2 und des Leistungskurses der Q1 am Donnerstag, 15.09., Gelegenheit, Prof. Dr. Andreas Heinemann-Grüder, einen renommierten Friedensforscher und Politikwissenschaftler, mit Fragen zu löchern. Dass er sich besonders gut als Experte für Fragen rund um den Ukrainekonflikt eignet, wird nicht nur in seiner Biographie deutlich, sondern auch in der Tatsache, dass er zuletzt bereits mehrfach als Berater der Bundesregierung in sicherheitspolitischen Fragen tätig war.

In seinem Vortrag ging Herr Heinemann-Grüder zunächst auf Erklärungsansätze für den Konflikt und russische Interessen ein. Dabei stellte er vor allem den Kampf um Einflusssphäre sowie ein Festhalten am veralteten Geschichtsbild eines großrussischen Reichs und den Kult um die Führungsfigur Putin als Hauptansätze heraus. Vor allem die Sorge um eine Demokratisierung des eigenen Einflussgebiets treibe Putin an.
Warum dessen Zustimmungswerte nach dem Angriff auf die Ukraine sogar noch stiegen, erklärt Heinemann-Grüder sich durch folgende Faktoren: fehlende Entstalinisierung, Sehnsucht nach vergangener Größe, Gewaltkultur bzw. Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern des Kriegs, ausgeprägtes Propagandasystem (Führerkult und starker Patriotismus), Mythos vom ,,großen vaterländischen Krieg", die russische Orthodoxie und ein leichtgläubiger Medienkonsum (v.a. fake news).

Zur Frage, wie der Krieg enden könnte, stellte der Experte vier mögliche Szenarien vor:

  1. Abnutzungskrieg: nur marginale Gewinne auf beiden Seiten, Ressourcen sind irgendwann erschöpft
  2. Internationalisierung: Einbezug von Nachbarstaaten, EU, NATO etc.
  3. Russland siegt
  4. Ukraine siegt

Welches dieser Szenarien am Ende eintrifft, hänge laut Heinemann-Grüder wiederum von vier Faktoren ab: Zunächst sei die Frage, wie durchhaltefähig sich die Ukrainer in den kommenden Monaten erweisen. Auf der anderen Seite müsse abgewartet werden, wie weit Putin bereit ist, den Krieg eskalieren zu lassen. Natürlich spiele es aber auch eine wichtige Rolle, wie geschlossen der Westen (EU, NATO) angesichts der massiven Auswirkungen des Kriegs (Preisanstieg) bleibt. Letztlich müsse aber auch auf die Rolle Chinas geschaut werden. Notwendig sei aus chinesischer Perspektive vor allem die Erkenntnis, dass die Solidarität zu Russland zu zu hohen Kosten führt.
 Deutlich wurde insgesamt die Vielzahl an globalen und auch innenpolitischen Einflussfaktoren, die diesen Konflikt bestimmen. Letztlich hielt der Experte fest, dass die russische Administration erst dann zu Friedensgesprächen bereit sei, wenn sie innenpolitisch mit dem Rücken zur Wand stünde. Sollte Putin bald vor die Wahl gestellt sein, seine Macht zu Hause in Russland zu verlieren oder einem Friedensvertrag zustimmen zu müssen, würde er sich im Sinne seines Machterhalts wohl kompromissbereit zeigen. Voraussetzung dafür aber sei, dass der Krieg von der russischen Bevölkerung in Form von Preisanstiegen, toten Soldaten etc. als sinnlos empfunden wird. Von der deutschen Regierung erwartet sich Heinemann-Grüder eine möglichst nachhaltige Friedens- und Wiederaufbaustrategie, die den Krieg von seinem Ende aus denkt und die aus den Fehlern, die man im Zuge des Afghanistan-Einsatzes gemacht habe, lernt. B. Straschewski

Zur Person: Andreas Heinemann-Grüder ist am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies tätig und zudem außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bonn sowie Senior Researcher am Bonn International Center for Conversion. ,,Seine Forschungsschwerpunkte sind Politik und Konflikte im postsowjetischen Raum, vergleichender Föderalismus, das Wiederaufleben des Autoritarismus und gewaltsame politische Krisen mit irregulären bewaffneten Gruppen."